Kommt Papa gleich wieder? Wie Kinder trauern – und wie man sie dabei begleitet

Berliner Zeitung

2.10.2015

Lisa Harmann

Zeichnung - Alex fragt Mama: Kommt Papa gleich wieder?

Alex ist drei Jahre alt, als er mit seinem Papa auf ein Vater-Sohn-Wochenende aufbricht – und ohne ihn wiederkehrt. Das Herz seines Papas hatte plötzlich aufgehört zu schlagen. Als Mama Elke kommt, um ihn vom Wochenende nach Hause zu bringen, ruft Alex: „Hey, Mädchen dürfen nicht mit.“ Da ist sein Papa längst mit dem Krankenwagen abgeholt worden.

Kinder gehen anders mit extremen Situationen um als Erwachsene. Und weil das so ist, haben Elke und Alex Barber ein Buch für Kindergarten- und Grundschulkinder geschrieben. Es handelt von ihrem Verlust, ihrer wahren Geschichte und heißt: „Kommt Papa gleich wieder?“. Darin beschreiben sie etwa die Beerdigung aus kindlicher Sicht oder klären, was passieren würde, wenn Mama jetzt auch noch stirbt und dass es okay ist, wenn auch Kinder traurig sind. Mit dem Buch haben Alex und Elke einen Weg gefunden mit ihrer Trauer umzugehen.

„Es ist immer gut, aktiv zu werden, als passiv etwas über sich ergehen zu lassen“ sagt Mechthild Schroeter-Rupieper. Als Familientrauerbegleiterin leitet sie Lavia – das Institut für Familientrauerbegleitung und hilft Familien vor, während und nach einem Verlust.

Sie erklärt, was Kinder in Zeiten der Trauer brauchen – und wie unterschiedlich sie reagieren.

Mit Kindern über den Tod sprechen

Kinder spüren, wenn ein Geheimnis in der Luft liegt und es beunruhigt sie. Der Tod gehört zum Leben dazu, das merken Kinder auch in ihrem Alltag – durch einen toten Vogel vor dem Fenster, eine vertrocknete Blume im Beet oder das Schaufenster eines Bestatters. Indem wir das thematisieren, können wir dem Thema den Schrecken nehmen. Natürlich altersentsprechend und kindgerecht.

Was macht Kinder traurig?

Kinder trauern nicht nur, wenn ein naher Verwandter stirbt, sondern auch wenn das Haustier wegläuft, der Schulfreund wegzieht oder sich die Eltern trennen. Jede Trauer hat ihre Berechtigung und sollte von den Bezugspersonen ernst genommen werden. Je unverkrampfter damit umgegangen wird, desto weniger Angst wird beim Kind geschürt.

Kindern die Angst nehmen

Angst entsteht durch Unwissen. Schroeter-Rupieper erzählt die Geschichte einer Siebenjährigen, deren Mama schwer erkrankte. „Ich erklärte ihr, dass es Krankheiten gibt, die man heilen kann und Krankheiten an denen man stirbt. Und dass die Mama so eine Krankheit hat, an der sie stirbt.“ Das Mädchen nickte. „Weißt Du, was sterben ist?“ Das Mädchen verneinte. Dann erklärte die Trauerbegleiterin es ihr. Erwachsene sollten nicht auf Fragen der Kinder warten, sondern diese Fragen antizipieren. Mit einem „Du fragst Dich bestimmt, ob…“ oder „Ich stelle mir vor, welche Gedanken du dir machst.“

Information gibt Sicherheit

Als die Mutter des Mädchens gestorben war, haben Schroeter-Rupieper und das Mädchen die Mama angeschaut. Die Trauerbegleiterin fragte: „Woran erkennen wir denn, dass die Mama nicht mehr lebt?“ Und dann stellten sie fest: Sie atmet nicht mehr. Sie bewegt sich nicht mehr. Sie ist ganz kalt. Für das Kind war klar: Aha, die Mama ist wirklich gestorben, was heißt: Sie lebt nicht mehr.

Kinder dürfen traurig sein

Weinen ist ein gesunder angeborener Reflex. Wenn wir traurig sind, weinen wir. Wenn wir fröhlich sind, lachen wir. Das ist gut so. Zu viele Menschen sagen auch heute noch: „Wein doch nicht!“ Das sei falsch, sagt Schroeter-Rupieper, genauso falsch wie ein „Freu dich doch nicht so“.

So trauern Kinder

Kinder leben in der Gegenwart. Sie können auch in Zeiten der Trauer spielen und kurz glücklich sein – weil sie es sich erlauben. Daran scheitert es bei den Erwachsenen. Sie denken: Ich kann doch jetzt nicht fröhlich ins Eiscafé gehen, wo mein Partner gerade gestorben ist. Erwachsene erfassen die Dramatik des Endgültigen. Kinder denken bis zu den Sommerferien oder bis Weihnachten. Sie können also zwischendurch unbeschwert sein. Das heißt aber nicht, dass sie weniger trauern.

Das Alter der Kinder ist entscheidend

Kinder trauern je nach Alter unterschiedlich. Ab sechs Jahren wissen Kinder, dass es den Tod gibt, dass Menschen sterben, wenn sie alt oder krank sind oder wenn sie einen Unfall haben. Sie wissen das vom Kopf her, aber noch nicht vom Herzen, sagt Schroeter-Rupieper. Noch Elfjährige wünschen sich in Gebeten ihre Mama zurück. Viele Jugendliche hätten dann einen Moment mit 12 oder 13, in dem sie plötzlich wie durch einen Ruck begriffen: Mama kommt wirklich nie wieder. Das ist eine Sache der Hirnreife.

Kinder trauern unterschiedlich

Manche Kinder gähnen und sind müde, weil sie die Trauer stresst. Schlaf bedeutet auch einen Rückzug aus der Situation. Manchen Jugendlichen hilft Sport. Dann gibt es die Mutmacher, die Optimisten, die sagen: Das wird schon alles wieder. Aber es gibt auch die, die weglaufen oder solche, die anlehnungsbedürftig sind. Oder solchen die wütend werden. Und unruhig.

Trauern Kinder unbeschwerter?

Kinder sind eher im Hier und Jetzt traurig. Jetzt bin ich traurig, das merken sie. Und dann klingelt das Nachbarskind und sie gehen raus und spielen. Viele sagen deshalb: Kinder sind viel unbeschwerter. Aber sie trauern auch. Sie können nur nicht gleichzeitig trauern und spielen. Wenn das Kind nach dem Spielen wieder reinkommt und plötzlich aufräumen soll, dann kommt die Trauer wieder. Vielleicht verbunden mit einer Wut. „Es ist so ungerecht, dass mir das passiert und ich jetzt auch noch aufräumen soll.“

Aktives Handeln statt passiver Rolle

Aktiv werden hilft. Als die verstorbene Mutter des siebenjährigen Mädchens von den Bestattern abgeholt wird, achtet die Trauerbegleiterin darauf, dass nicht das trauernde Kind zurückbleibt und hinterher schaut. Sie sagt: „Komm, wir bringen die Mama noch zum Auto.“ Das sei sehr wichtig für die Psyche. Das Kind hat sie gebracht. Sie haben sie ihr nicht genommen.

Die Zeit zwischen Tod und Beerdigung

Die Zeit zwischen Tod und Beerdigung, hält die Trauerbegleiterin für essentiell. Es ist die letzte Chance, noch aktiv zu handeln. Einen Brief zu schreiben oder ein Bild zu malen, das die Kinder der geliebten Person mit ins Grab geben können. „Je mehr man in dieser Zeit macht, desto einfacher wird es später“, sagt Schroeter-Rupieper. Auch könne man Verwandte bitten, einen Text über die verstorbene Person zu schreiben, um später ein Erinnerungs-Buch für das Kind daraus zu machen.

Müssen wir die Kinder schützen?

Viele wollen die Kinder schützen, sagt Schroeter-Rupieper. Menschen sagen Dinge wie: „Behalt die Mama in Erinnerung wie sie gewesen ist.“ Aber dann behalten sie ja die kranke Mama in Erinnerung! Sie dürfen an die Mama denken in gesunden Zeiten, in kranken Zeiten und ja auch an die Mama, die sie nach ihrem Tod gesehen haben.

Kinder mit zur Beerdigung?

Die Beerdigung als Abschiedsritual ist sehr wichtig, sagt Schroeter-Rupieper. Auch für Kinder. Und natürlich wollten sich einige Jugendliche davor drücken, aber sie gingen ja auch zur Schule obwohl sie keine Lust hätten. Eine verpasste Beerdigung kann eine erschwerte Bedeutung für das Leben haben, sagt die Trauerbegleiterin.

Rituale können helfen

Rituale sind wichtig weil sie Sicherheit geben. Und wenn das nur die gemeinsame Mahlzeit ist. Nicht umsonst wird nach Beerdigungen zum Trauerkaffee gebeten. Das Essen stärkt und es gibt einen Rahmen, in dem gesprochen werden kann. Das gilt genauso für die täglichen gemeinsamen Mahlzeiten nach dem Verlust.

Kindern die Last nehmen

Du musst jetzt gut auf den Papa aufpassen. Du weiß ja, der Papa ist auch ganz traurig. Das sagte eine Erzieherin zu der Siebenjährigen, kurz nach dem Tod der Mama. Schroeter-Rupieper weist das ab: Es ist nicht die Aufgabe eines Kindes, den Papa ständig zu trösten. „Wenn der Papa traurig ist“, sagt sie, „darfst Du das der Tante sagen oder mir oder einer anderen erwachsenen Person. Du bist nicht verantwortlich für den Papa. Der ist schon groß und kann sich selbst Hilfe holen.“

Reden, reden, reden

Kinder haben viele Fragen. Kommt sie jetzt in den Himmel? Brauchen wir eine Ersatzmutter? Wer kümmert sich um mich, wenn Du jetzt auch noch stirbst? Diese Fragen sind grundlegend und wollen beantwortet werden. Das kann ein Erwachsener tun, da kann aber auch eine Trauergruppe helfen. Dort gibt es einen Austausch und ein Verstandenwerden. Sprechen ist so wichtig, um Erfahrungen auszutauschen. Es nimmt dem Tod den Schrecken und kann Betroffenen gut tun.

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