Kommt Papa gleich wieder?

Leben & erziehen

1/2014

Silvia Schmid

Artikel

Elke Barber ist Mama von zwei Kindern. Sie hat ihren Mann verloren und ist an Krebs erkrankt. Die Geschichte einer starken Frau, die für ihr Glück kämpft

Für Santa Claus gibt es im Haus von Elke Barber viel zu tun. Sieben Strümpfe warten in der Nacht auf den 25. Dezember darauf, mit Geschenken und Süßem gefüllt zu werden. Um den Weihnachtsmann ins Haus in der Nähe der schottischen Hauptstadt Edinburgh zu locken, steht alles bereit: Haferflocken und eine Karotte für die Rentiere, eine Landebahn aus Glitzer, ein Glas Whisky und ein Kuchen für Santa.

Ein besonderes Fest für die Familie

Streng nach schottischem Brauch, auch wenn Elke (39) ursprünglich aus Deutschland kommt. Am nächsten Morgen ist die Karotte angeknabbert, der Whisky weg und die Strümpfe sind gefüllt. Elkes Kinder Olivia (5) und Alex (8) und die fünf Mädchen von Elkes Freund John stehen vor dem geschmückten Weihnachtsbaum. Jetzt herrscht hier die gleiche Stimmung wie überall an Weihnachten: Aufregung, Freude, Trubel, Glück.

Und doch ist in diesem Haus das Glück etwas ganz Besonderes. Etwas, für das jeder dankbar ist. Denn in den vergangenen Jahren musste Elke zweimal erleben, wie alles in einem Augenblick vorbei sein kann. Wie alles, was so selbstverständlich scheint, zerbricht.

Martins Herz schlägt nicht mehr

Im April 2009 macht Elkes Mann Martin, ein Polizist, einen Ausflug mit dem damals dreijährigen Alex. Mama Elke und die knapp einjährige Schwester Olivia müssen daheim bleiben. „Nur für Jungs, Mädchen verboten.“ Das ist ganz nach dem Geschmack von Alex. Zug fahren, baden, Pizza und Eis, im Wohnwagen schlafen, ein Bootstrip – nur er und sein Papa. Ein echtes Männerabenteuer. Am vierten Tag, dem Tag der geplanten Heimkehr, geht es Martin, einem kräftigen, gesunden Mann, beim Frühstücken plötzlich schlecht. Alex, gerade mal drei Jahre alt, läuft über den Campingplatz, holt Hilfe. Doch als der Krankenwagen ankommt, ist es zu spät für den Vater von zwei Kindern. Noch auf dem Weg ins Krankenhaus stirbt er an einem schweren Herzinfarkt. Mit 34 Jahren, vier Tage vor dem ersten Geburtstag von Olivia.

Elke füttert zu Hause ihre Tochter, als der Besitzer des Campingplatzes anruft. „Ihr Mann ist schwer krank, sie müssen herkommen.“ Die damals 34-Jährige packt ihre Tochter und fährt los. Als sie sich auf einem Rastplatz mit ihren Schwiegereltern trifft, klingelt ihr Handy. Eine Polizistin ist dran. „Wo sind Sie gerade? Wir schicken Ihnen einen Beamten.“ Elke weiß sofort, dass Martin tot ist. „Vier Stunden sind wir zum Caravanpark gefahren und alle haben wir nur geschwiegen. Mein Schwiegervater ist gefahren und ich habe die ganze Zeit aus dem Fenster gestarrt und mir immer und immer wieder überlegt, was ich Alex sagen soll.“

Als die Familie endlich ankommt, spielt ihr ahnungsloser kleiner Sohn unbeschwert mit dem Schaf des Campingplatz-Besitzers – und schimpft erst mal, als er seine Mama sieht: „Nein, Mama, hier sind doch keine Mädchen erlaubt!“ Elke kniet sich auf den Boden, zieht Alex nahe zu sich an ihre Brust: „Kannst du das hören?“ Sie erklärt ihm: „Das ist ein Herz und wenn es aufhört zu schlagen, dann kann man nicht mehr atmen. Papas Herz hat aufgehört zu schlagen. Er kann nie wieder zurückkommen.“ Doch dieses „nie wieder“ kann der Dreijährige nicht verstehen. Kommt Papa denn gleich zurück? Ist er in der Arbeit? Die Krankenwagenleute haben ihm doch geholfen? Auf manche seiner Fragen hat Elke selber keine Antwort, aber sie versucht, ihm alles zu erklären. In einer Sprache, die ihr kleiner Sohn versteht, so behutsam wie es geht.

„Aber wo ist Papa denn jetzt?“, will Alex wissen. Elke erklärt ihm, dass sich manche vorstellen, dass die Menschen nach ihrem Tod in den Himmel kommen und dann vielleicht ein Stern werden. „Aber ich will nicht, dass Papa ein Stern ist! Ich will, dass er wiederkommt!“, entgegnet ihr kleiner Sohn und weint. Elke kann jetzt nur eins – ihn in den Arm nehmen und ihm sagen, dass auch sein Papa nichts lieber gewollt hätte, als bei ihm zu bleiben.

Alex muss die Wahrheit erfahren

Ihren Kindern den Tod erklären zu müssen: Für Elke, die das alles selbst noch nicht fassen kann, ist das herzzerreißend schwer. Und Alex hat viele, viele Fragen, die sie noch Wochen und Monate später an ihre Grenzen bringen. „Wie oft muss ich noch schlafen, bis Weihnachten ist? Und wie of, bis ich sterbe?“ „Wer kümmert sich um Olivia und mich, wenn du stirbst?“ „Ginge es Papa gut, wenn ich  keine Hilfe geholt hätte?“ Die junge Witwe merkt, wie wichtig es für ihren Sohn ist, die Wahrheit zu erfahren: „Alles, was er sich ausmalt, ist noch viel schlimmer als das, was ich ihm sagen kann.“ Elke sucht nach einem Buch, in dem der Tod auch kleinen Kindern erklärt wird. Doch was sie findet, handelt entweder von alten, kranken Menschen oder von Tieren. „Aber Martin war ein gesunder, junger Mann, wad hilft uns da ein Buch über einen toten Dachs?“

Also beschließt sie, gemeinsam mit Alex so ein Buch zu schreiben: über den Tod von Martin, aus Sicht seines dreijährigen Sohnes, mit den Worten seines dreijährigen Sohnes.

Ein Buch als Trost für kleine Kinder

Ein Buch für kleine Kinder, die einen geliebten Menschen verlieren, so wie Olivia und Alex. Als Trost, als Hilfe, um zu erkennen, dass sie nicht alleine sind mit ihrem Schmerz. Aber auch um ihnen zu zeigen, dass es okay ist, wieder zu lachen und fröhlich zu sein.

Noch während sie an dem Buch arbeitet, lernt Elke John kennen – und mit ihm seine fünf Mädchen im Alter zwischen fünf und 17 Jahren. „Nicht nur John und ich haben uns ineinander verliebt, sondern da haben sich wirklich neun Menschen gefunden und verliebt!“ Alles ist gut. Bis zum März 2012. Das Buch von Mutter und Sohn ist fast fertig, Elke arbeitet wieder als selbstständige Grafikerin, mit John und den Kindern lebt sie inzwischen zusammen. Wegen einer Brustentzündung überweist ihr Arzt sie vorsichtshalber in eine Spezialklinik. Zeitverschwendung, denkt Elke, und ärgert sich über den Termin. Zwei Stunden später bekommt sie die Diagnose. Es ist Brustkrebs.

Ich darf noch nicht sterben!

„In dem Moment bin ich wirklich zusammengebrochen“, erinnert sich Elke. Fassungslos sagt sie zum Arzt: „Ich darf nicht sterben, meine Kinder sind erst drei und sechs und ihr Papa ist tot!“ Die Woche bis zum Therapiebeginn ist grausam. Sie weiß nicht, was sie erwartet, sie hat Angst. Und sie muss ihre Kinder darauf vorbereiten, dass es ihr bald sehr schlecht geht, dass ihr die Haare ausfallen, dass sie müde sein wird. „Stirbst du?“, fragt Alex. Auch dieses Mal lügt sie ihre Kinder nicht an. „Die Ärzte haben mir versprochen, dass ich nicht sterben werde“, versichert sie ihrem Sohn. Doch sie sagt ihm auch, was für ein gefährliche Krankheit Krebs ist.

Chemotherapie, Operation, Bestrahlung: Es folgen dramatische Monate, Elke ist zum Teil zu schwach, sich um die Kinder zu kümmern. John kündigt seinen Job, um das zu übernehmen und immer an ihrer Seite sein zu können. Elke verliert ihre Haare – doch auch davon lässt sie sich nicht unterkriegen: „Da konnte ich erkennen, was mir am besten steht: ein Lächeln und große Ohrringe.“

Nach mehreren Monaten hat Elke es geschafft: Sie besiegt den Krebs. Noch bevor ihre Behandlung abgeschlossen ist, sammelt sie über das Internet per Fundraising das nötige Startkapital, um ihr Buch herauszubringen. Im November endet die Bestrahlung, im Dezember kommt das Buch „Is Daddy coming back in a minute?“ (Kommt Papa gleich wieder?) auf den englischen Markt.

Die Reaktionen darauf sind überwältigend. Alex und Elke bekommen viele Briefe von Kindern, die um einen lieben Menschen trauern, die schreiben, wie wichtig das Buch für sie ist, dass es ihnen Mut macht. „Diese Kinder fühlen sich wie ausgestoßen, es wird über sie geredet, das macht sie noch einsamer“, ist die Erfahrung von Elke. Alex geht es inzwischen besser. Er habe jetzt sogar zwei Papas, die ihn lieb haben, sagte er kürzlich.

Sätze wie dieser, die Liebe ihrer großen Familie, aber auch die positive Resonanz auf das Buch: Aus all dem zieht Elke Kraft. Sie lässt sich nicht von den Schicksalsschlägen unterkriegen. „Ich bin mit 34 Jahren Witwe geworden. Mit 38 habe ich den Krebs besiegt.“ Natürlich hat sie auch Momente, in denen sie Angst hat, in denen sie trauert. Auch Alex vermisst Papa Martin noch immer sehr. Und doch glaubt Elke unverdrossen daran, dass alles im Leben aus einem guten Grund passiert: „Gerade die schlimmen Dinge haben mir gezeigt, dass ich Vertrauen in meine Stärke haben kann.“ Und dass das Glück – wenn auch in anderer Form – immer wieder zurückkehren kann.

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